:: Der Proteinstoffwechsel ::

Im Sport, speziell im Bodybuilding, haben sich einige Ansichten betreffend Stoffwechsel und Ernährung etabliert, die weder physiologisch nachvollziehbar, noch empirisch objektiv belegbar sind. Abgesehen davon, dass der Ernährung als leistungssteigernder Faktor vielfach eine zu große Bedeutung beigemessen wird, gibt es auf diesem Gebiet einige Mythen, die sich hartnäckig halten. Im Bodybuilding, einer “Sportart“, die nur auf die Optik und nicht auf Funktionalität abzielt, spielt der Muskelmasseaufbau (um jeden Preis) mit nachfolgender “Definition“ die entscheidende Rolle. Darüber hinaus ist die Furcht vor einem Muskelmasseverlust ständig gegenwärtig. Die Befürchtung einer Mangelversorgung der Muskulatur mit Protein führte einerseits zur Überzeugung, man benötige für einer Muskelhypertrophie 3 bis 4 Gramm Eiweiß pro kg Körpergewicht (Eine so hohe Proteinzufuhr ist sogar kontraproduktiv, da sie eine leistungsmindernde Hyperammoniämie induzieren und die endogene Glutaminsynthese  reduzieren kann. Mittlerweile weiß man, dass 1.5 bis 1.8 Gramm/kg genügen, selbst bei intensivstem Training. Nur bei supraphysiologisch gesteigerter Positivierung der Stickstoffbilanz durch Verwendung anaboler Steroide und/oder HGH kann der Eiweißbedarf etwas höher liegen, aber das darf nicht als Norm gelten), andererseits zum Glauben, man müsse alle 2 bis 3 Stunden Eiweiß bzw. entsprechende Nahrung zuführen, um einen “Engpass“ in der muskulären Versorgung zu vermeiden und somit einen Muskelabbau zu verhindern. Dazu passen noch die weiteren “Mythen“, der Organismus könne nur ca. 30 Gramm Eiweiß pro Mahlzeit verdauen oder, der Körper würde mit dem muskulären Proteinabbau beginnen, wenn nicht spätestens 30 Minuten nach dem Training Eiweiß (und Kohlenhydrate) konsumiert würde. Um es vorwegzunehmen - der intramuskuläre "Aminosäurepool" wird auch bei konventioneller Ernährung nie "leer"!

Um den Proteinstoffwechsel zu verstehen, bedarf es gewisser Basiskenntnisse: Protein ist Eiweiß, der Baustoff unseres Körpers schlechthin. Die Einzelbausteine eines Proteins nennt man Aminosäuren (AS). Das sind Verbindungen, die zwei charakteristische funktionelle Gruppen besitzen, eine Amino-Gruppe anstelle von Wasserstoff sowie eine Carbonsäure-Gruppe (COOH). Es sind also Carbonsäuren mit einer Aminogruppe. Es gibt 20 AS, von denen 8 essentiell sind. Das bedeutet, dass diese unentbehrlichen AS, die nicht durch körpereigene Biosynthese erzeugt werden können, mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Obwohl nur 20 AS am Aufbau der Körperproteine beteiligt sind, unterscheiden sich die Proteine von Mensch zu Mensch und sogar von Organ zu Organ. Die Kombinationsmöglichkeiten der AS ergibt die utopisch hohe Zahl von 24 x 10 hoch 18! Strukturell kann man aliphatische AS, zu denen auch die verzweigtkettigen AS (BCAA's) gehören, von aromatischen AS unterscheiden. Funktionell unterscheidet man die glucoplastischen AS, die in Glucose umgewandelt werden können, von den ketoplastischen AS, die in Ketonkörper umwandelbar sind. Nach Aspekten der Biosynthese unterscheidet man die essentiellen von den nicht essentiellen AS (s.o.). Essentiell sind die sog. verzweigtkettigen AS Valin, Leucin, Isoleucin (die v.a. für den Muskelstoffwechsel wichtig sind), weiters Lysin, Phenylalanin, Tryptophan, Methionin und Threonin. Bedingt essentiell sind weiters Cystein, Arginin und Histidin.

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Die Proteinverdauung

Die Proteinverdauung beginnt im sauren Milieu des Magens. Die im Magensaft inaktiven Enzymvorstufen (Pepsinogene) werden unter Einwirkung der Salzsäure bei einem pH von 2 - 4 in das aktive Verdauungsenzym Pepsin umgewandelt. Diese endogene Protease spaltet die Nahrungsproteine in länger Bruchstücke (Polypeptide und Oligopeptide). Der Eiweiß-teilverdaute Speisebrei wird aus dem Magen, der als Reservoir dient, in regelmäßigen Abständen portionsweise in den Dünndarm weitergeleitet, wo die Verdauung durch die alkalischen Enzyme der Bauchspeicheldrüse (Pancreas) vervollständigt wird, indem die im Magen entstandenen Poly- und Oligopeptide durch die Enzyme Trypsin und Chymotrypsin weiter aufgespaltet und schließlich die aufgeschlüsselten Nährstoffe in Form von freien Aminosäuren, Di- und Tripeptiden resorbiert werden. Dieser Vorgang ist nach ca. drei Stunden zu ca. 75% abgeschlossen, der “Rest“ braucht etwas länger, was v.a. damit zusammenhängt, dass pflanzliche Proteine nicht so leicht bzw. schnell resorbiert werden können wie tierische. Auch wenn der Großteil der Verdauungs- und Resorptionsarbeit von Proteinen nur drei Stunden dauert, heißt das nicht, dass man als Sportler alle drei Stunden Protein zuführen muss, denn es besteht trotzdem immer ein gleichmäßiger Blutspiegel an AS (s.u.), der die Versorgung der Muskulatur gewährleistet und somit den AS-Pool nie “leer“ werden lässt. Abgesehen davon finden Verdauung, Resorption und Verwertung der Nahrung praktisch rund um die Uhr statt, auch bei konventioneller Ernährung: Der Mensch ist ein “postprandiales Wesen“ (post=nach, prandial=das Essen betreffend bzw. während der Mahlzeit) und eigentlich nie wirklich nüchtern! Auch die übliche Nachtruhe ist zu kurz, um ein “Aushungern“ des Organismus zu bewirken (Das Provozieren einer extremen katabolen Stoffwechselsituation wie bei “Nulldiät“ und “Heilfasten“ ist medizinisch abzulehnen und sollte im Sport ohnehin kein Thema kein). Unter normalen physiologischen Bedingungen wird Muskeleiweiß nicht zur Energiegewinnung herangezogen. Mit anderen Worten, die Befürchtung vieler Athleten, ihre aufgebaute Muskelmasse wieder zu “verlieren“, wenn sie nicht eine bestimmte Ernährung befolgen, ist unbegründet. Im Gegenteil, gerade in der Zeit zwischen den Trainingseinheiten, also in der Regenerationsphase, erfolgt die Superkompensation, sprich nicht nur die Kompensation der während intensiven Trainings vorübergehend katabolen Stoffwechselsituation, sondern eine anabole Reaktion sogar darüber hinaus als physiologische Adaptation auf den gesetzten Trainingsreiz. Diese Superkompensation bedeutet u.a. auch eine Proteinneusynthese und somit Muskelaufbau, der auch bei konventioneller Nahrungszufuhr gewährleistet wird. Für eine Muskelhypertrophie ist in erster Linie das Setzen entsprechend effektiver Trainingsreize entscheidend, die Ernährung hat nur unterstützende Wirkung. Somit darf ihre Bedeutung nicht überbewertet werden, wie es erfahrungsgemäß im Bodybuilding der Fall ist.

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Homöostase der Aminosäuren und Transport zwischen den Organen

Das Blut transportiert die AS zwischen den einzelnen Organen. Dabei wird der unregelmäßige, “stoßartige“ AS-Zustrom nach der Nahrungsaufnahme durch Regulationsmechanismen ausgeglichen, sodass immer ein gleichmäßiger Blutspiegel an AS resultiert. Das Zentrum für diese Regulation ist die Leber, die Schwankungen der AS-Konzentration im Blut mittels Abbau und Umbau von AS sowie durch Proteinsynthese ausgleicht. Der Proteinstoffwechsel wird durch die aktuelle Verfügbarkeit von AS und durch hormonelle Regelkreise geregelt. Das Muster an Plasma-AS zeigt keine Proportionalität zum AS-Muster der Nahrungsproteine und Gewebeproteine, das hängt mit Unterschieden im Stoffwechsel und im Transport der einzelnen AS zusammen. Bereits bei der Resorption werden z.B. die Dicarbonsäuren Glutaminsäure und Asparaginsäure zum größten Teil metabolisiert, sodass im Pfortaderblut  wenig Dicarbonsäuren und mehr Glutamin und Asparagin vorhanden sind. Die Leber gibt v.a. verzweigtkettige AS (Valin, Leucin, Isoleucin) ab, die sich dann in der Skelet- und Herzmuskulatur sowie im Gehirn und der Niere anreichern. Damit wird ersichtlich, dass die verzweigtkettigen AS eine große Bedeutung für den Muskelstoffwechsel haben. In der Postabsorptionsphase kommt es zu einer Freisetzung von v.a. Alanin und Glutamin aus der Muskulatur, gleichzeitig nimmt die Leber und der obere Verdauungstrakt AS auf. Letzterer nimmt Glutamin auf und setzt dafür Alanin frei. Dieses, wie auch das von der Muskelzelle freigesetzte Alanin, wird von der Leber aufgenommen. Die Leber nimmt auch Glutamin aus der Muskulatur auf, weiters alle anderen glukoplastischen AS. Auch die Niere nimmt Glutamin auf und kann diese zur Gluconeogenese verwenden. An der Regulation des absorptiven und postabsorptiven Aminosäureflusses sind die Peptidhormone Insulin und Glucagon beteiligt. Manche AS, v.a. Arginin und die verzweigtkettigen AS, stimulieren die Insulinsekretion. Andere AS wie Asparagin, Glycin, Serin und Cystein stimulieren die Sekretion von Glucagon. Insulin fördert u.a. die Aufnahme von AS in die Muskelzellen und damit die Muskelproteinsynthese. Glucagon hingegen fördert die AS-Aufnahme in die Leber und stimuliert die Gluconeogenese. Beide Hormone verhindern somit einen übermäßigen Anstieg der Plasma-AS nach ihrer Resorption, wodurch unnötige Verluste über den Harn vermieden werden.

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Die Regulation des Proteinstoffwechsels

Der Proteinstoffwechsel reguliert die Proteinmengen der verschiedenen Körperkompartimenten:

1. Die aufgenommenen Aminosäuren (AS) werden dem Aminosäurepool zugeführt und zum Teil für den Neuaufbau körpereigener Proteine verwendet. Ein Teil der AS im AS-Pool stammt aus dem katabolen Stoffwechsel der Gewebeproteine, auch diese AS können für die Proteinneusynthese verwendet werden.

2. Ein Teil der AS im AS-Pool unterliegt dem katabolen Stoffwechsel. Nach Desaminierung wird das Kohlenstoff (C)-Gerüst letztendlich zu Kohlendioxid und Wasser unter Freisetzung von Energie oxidiert oder durch Umwandlung als Glykogen oder Fett gespeichert. Aus dem AS-Stickstoff entsteht Harnstoff.

3. Einige AS werden für die Synthese verschiedener stickstoffhältiger Verbindungen herangezogen, wie Kreatin und Purinbasen. Deren typischen stickstoffhältigen Ausscheidungsprodukte sind Kreatinin und Harnsäure. Weiters können durch Übertragung von Aminogruppen anderer AS auf ein im Intermediärstoffwechsel gebildetes C-Gerüst nicht essentielle AS hergestellt werden.

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Der Aminosäure-Pool und seine Regulation

Die mit der Nahrung aufgenommenen Proteine werden im Verdauungstrakt hydrolysiert und in Form von freien AS resorbiert, also in den Blutkreislauf aufgenommen und gelangen in weiterer Folge in interstitielle (Bindegewebe) und intrazelluläre Speicher. Nur 0.05% aller im Körper vorkommenden AS liegen in freier Form vor. In den Zellen liegt eine viel höhere Konzentration an AS als im Plasma vor. Die höchste Konzentration von z.B. Glutamin findet sich in den Muskelzellen. Die Zusammensetzung der freien AS in den verschiedenen Geweben ist unterschiedlich. Darüber hinaus variiert die Zusammensetzung des AS-Pools als auch die Konzentration einzelner AS von Spezies zu Spezies. Deshalb ist es auch nicht zulässig, Daten aus Tierversuchen auf den Menschen zu übertragen. Die Skelettmuskulatur ist das größte Reservoir für jede AS. 70-80% des freien AS-Pools befinden sich in der Muskulatur, während die freien AS im Plasma nur einen geringen Anteil am Gesamtpool haben. Eine genaue Aussage über Veränderungen des freien AS-Pools oder über intrazelluläre AS-Konzentrationen ist über die im Plasma vorhandene Konzentration nicht möglich. Die Größe des intrazellulären AS-Pools ist jedoch direkt messbar. Nicht nur die Ernährung, auch Alter, Geschlecht sowie Krankheit sind Faktoren, die die Zusammensetzung des freien AS-Pools beeinflussen.

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Der Proteinumsatz

Unter Proteinumsatz versteht man sowohl die Synthese als auch den Abbau von Proteinen. Normalerweise besteht ein “steady state“, also ein Fließgleichgewicht und die Syntheserate hält sich mit der Abbaurate die Waage. Wenn wir von einem ca. 70 kg schwerer Mensch in den westlichen Industriestaaten ausgehen, so führt dieser eine Proteinmenge von ca. 100 Gramm Protein pro Tag zu. Dazu kommen noch ca. 70 Gramm Eiweiß, die vom Darm sezerniert werden. Von diesen 170 Gramm Protein werden ca. 160 Gramm resorbiert, der Rest wird mit dem Stuhl ausgeschieden. Der durchschnittliche Umsatz (turnover) an Körperprotein beträgt 300 - 400 Gramm pro Tag. Die Differenz zwischen Proteinzufuhr und -umsatz beweist die Wiederverwertung der im Proteinstoffwechsel freigewordenen Aminosäuren. Der hohe Proteinumsatz wird vor allem von der täglichen Erneuerung der Zellen der Darmschleimhaut, dem Muskelstoffwechsel, dem Ab- und Aufbau von Plasmaproteinen sowie auch von der Bildung von Hämoglobin und der weißen Blutkörperchen bestimmt. Er hängt natürlich auch vom Ernährungszustand ab und kann zur Beurteilung einer Unterernährung herangezogen werden (Plasmaproteine mit hoher Umsatzrate wie z.B. Präalbumin). Der Proteinstoffwechsel ist natürlich auch von den im AS-Pool verfügbaren Aminosäuren abhängig. Theoretisch sind im Gesamtkörperpool ausreichend freie AS für eine 8-stündige, normal ablaufende Proteinsynthese vorhanden. Allerdings bestehen Unterschiede in der Verfügbarkeit einzelner AS, die bei der Berechnung des wahren Protein-Turnovers berücksichtigt werden müssen. Die limitierenden AS in den Zellen sind die verzweigtkettigen und die aromatischen AS. Eine kontinuierliche Proteinsynthese ist somit nur durch die Kompensation zwischen den verschiedenen Geweben möglich.

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Stickstoffausscheidung und Stickstoffbilanz

Die Endprodukte des Stickstoffmetabolismus werden mit dem Urin ausgeschieden. Nicht resorbierbares Nahrungseiweiß und ein kleiner Teil der in den Darm sezernierten Proteine (siehe oben) werden mit dem Stuhl ausgeschieden. Auch mit Hautpartikeln, Haaren, Sperma und Menstruationsblut verliert der Körper geringe Mengen an Eiweiß-Stickstoff. Im Urin findet sich Stickstoff vor allem als Harnstoff (80 - 85% des gesamten Stickstoffs), aber auch als Kreatinin, Ammoniak und Harnsäure. Bei einer verminderten Proteinaufnahme verringert sich auch die Harnstoffmenge im Urin.

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Ernährung und Proteinstoffwechsel

Der Mindestbedarf an Protein kann geschätzt werden, indem die gesamten Stickstoffverluste während einer proteinfreien Diät gemessen werden. Es wird angenommen, dass diese Verluste dem Bedarf entsprechen. Dabei gehen die Faktoren des obligatorischen täglichen Stickstoffverlustes (Harn: 37mg/kg, Stuhl: 12mg/kg, Haut 5-8mg/kg, sowie andere kleine Verluste) in die Berechnung mit ein. Insgesamt ergibt sich ein täglicher Verlust von 54mg Stickstoff bzw. 340mg Protein pro kg Körpergewicht. Entsprechend der 1985 von der WHO vorgeschlagenen 30%igen Erhöhung der Proteinzufuhr errechnet sich somit eine Mindestmenge von 450mg, also 0.45 Gramm pro kg Körpergewicht. Diese Empfehlung wird heute von den meisten nationalen und internationalen Kommissionen bestätigt Eine andere Möglichkeit, den täglichen Proteinbedarf abzuschätzen, ist die Ermittlung der Menge an Proteinstickstoff, die gerade noch für eine ausgeglichene Stickstoffbilanz sorgt. Von allen untersuchten Proteinen wurde hiefür die gleiche Menge, nämlich 0.4 g/kg benötigt (ausgenommen das minderwertige Weizengluten, wovon 0.66 g/kg nötig war). 1985 wurde von der WHO der Begriff des “safe intake“ geprägt, also die Sicherung einer ausreichenden Versorgung mit Aminosäuren, nachdem in Studien die Mindestmenge eines hochwertigen Proteins zur Erhaltung einer ausgeglichenen Stickstoffbilanz direkt ermittelt wurde. Sie betrug für den jungen Erwachsenen 0.6 g/kg Körpergewicht. Durch einen “Sicherheitszuschlag“, der individuelle Schwankungen ausgleichen sollte, erhöht sich der “safe intake“ auf 0.75 g/kg. Auch für alle anderen Altersstufen wurden auf diese Weise der Mindestbedarf an Protein festgelegt. Den höchsten Proteinbedarf hat ein Säugling im ersten Lebensmonat mit 2.4 g/kg. Mit zunehmendem Alter verringert sich der Proteinbedarf, wobei der Bedarf älterer Menschen noch nicht ausreichend erforscht ist. Erwachsene verlieren zwischen dem 25. und 65. Lebensjahr ca. 20% ihres Körperproteins, das entspricht dem Verlust von ca. ein Prozent der bestehenden Muskelmasse pro Jahr. Ob sich durch Proteinzufuhr der Alterungsprozess verlangsamen lässt, ist noch unklar. Eines steht jedoch fest: Ein Abbau von Muskelmasse kann mittels regelmäßiger körperlicher Aktivität und v.a. durch Krafttraining (eine Einheit pro Woche genügt für diesen Zweck) verhindert werden, selbst in höherem Alter.

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Der Bedarf an essentiellen Aminosäuren

Früher wurde der Bedarf an essentiellen AS über die Stickstoffbilanz bestimmt. Heute kann man diesen Bedarf über die Blutspiegel von AS ermitteln, indem man Veränderungen nach Zufuhr unterschiedlicher Mengen essentieller AS im Plasma und intrazellulären Raum berücksichtigt. Die Bedarfswerte der einzelnen AS sind mittlerweile gut erforscht, und zwar für alle Altersgruppen beiderlei Geschlechts. Wie bereits erwähnt, ist der Proteinbedarf beim Säugling am höchsten und fällt mit zunehmendem Alter kontinuierlich ab. Interessant dabei ist die Tatsache, dass der Bedarf an essentiellen AS stärker abnimmt als der an Gesamtprotein. Beträgt der Anteil an essentiellen AS beim Kleinkind noch 43% des Gesamtproteinbedarfs, so verringert er sich bei älteren Kindern auf 36% und schließlich auf 20% bei Erwachsenen. Somit ist es möglich, Eiklar oder ein anderes biologisch hochwertiges Protein, das die essentiellen AS “im Überfluss“ enthält, mit nicht essentiellen AS, also biologisch weniger wertvollen Proteinen, oder auch mit Ammoniumsalzen zu “verdünnen“, um das Gleichgewicht der Stickstoffbilanz aufrechtzuerhalten.

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Die Proteinqualität

Nährstoffanalysen und Nährwerttabellen geben den Proteingehalt in Gramm pro 100 Gramm Nahrungsmittel an. Daraus lässt sich auch der Energiegehalt des Proteinanteils bezogen auf den Gesamtenergiegehalt des Nahrungsmittels errechnen (1 g Protein liefert ca. 4.2 kcal). Eine ausgewogene Ernährung sollte 15% der Energie in Form von Protein liefern. Allerdings sagt die Angabe des Proteinanteils eines Nahrungsmittels allein nichts über dessen Qualität aus. Man kennt heute die Menge an essentiellen AS eines Nahrungsproteins, die für eine vollständige Verwertung dieses Proteins zur Synthese von Körperprotein notwendig ist. Dieses sog. AS-Referenzmuster dient als Standard zur Beurteilung der Qualität von Nahrungsproteinen. Kennt man den Gehalt eines Proteins an essentiellen AS, kann man dessen “Nährwert“ gut abschätzen. Vereinfacht ausgedrückt, kann man sagen, dass ein Protein biologisch umso hochwertiger ist, je mehr essentielle AS es enthält. Die biologische Wertigkeit gibt an, wie viel Gramm Körpereiweiß durch 100 Gramm Nahrungsprotein aufgebaut werden kann. Anders ausgedrückt, wie viel vom resorbierten Protein im Körper “behalten“ wird. Wenn man die Verdaulichkeit außer acht lässt, misst man also das zurückbehaltene Protein im Verhältnis zum verzehrten Protein. Diesen Index nennt man NPU = “net protein utilization“. Angaben zur biologischen Wertigkeit der Nahrungsproteine finden sich anhand einschlägiger Tabellen. Eiprotein dient als Referenzprotein und hat die biologische Wertigkeit von 100, gefolgt von Milch und Fleisch usw. Tierisches Protein ist prinzipiell biologisch hochwertiger als pflanzliches. Die Steigerung der biologischen Wertigkeit über 100 durch Kombination von Nahrungsmitteln (klassisches Beispiel: Ei plus Kartoffel) ist aber nur theoretischer Natur – mehr als eine 100%ige Verwertung von Nahrungsprotein ist nun mal nicht möglich! Beim Erwachsenen wird die Proteinqualität anhand der Stickstoffbilanz beurteilt, bei Kindern anhand von Stickstoffretention und Wachstum bzw. Gewichtszunahme (PER = protein efficiency ratio). Dieser Wert kann aber durch Fett- oder Wassereinlagerung verfälscht werden.

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Die Verfügbarkeit von Aminosäuren aus der Nahrung

Die biologische Verfügbarkeit von Aminosäuren kann unter Umständen niedriger sein, als die Ergebnisse der biochemischen Analysen erwarten lassen. Hitzebehandlung, Lagerung und beeinträchtigte Proteinverdauung können sie verringern. Chemische und physikalische Reaktionen können einen Verlust an essentiellen AS bedingen und deren Verwertung durch ein Übermaß an anderen AS beeinträchtigt werden.  Dieses “Zuviel“ kann zu Effekten führen, die sich in Toxizität, Antagonismus und Imbalanz einteilen lassen. Unter “Aminosäuretoxizität“ versteht man negative Auswirkungen der Überdosierung einzelner AS. Die “toxische“ Dosis hängt von der einzelnen AS ab, die höchste Toxizität haben Methionin und Tyrosin. “Aminosäureantagonismus“ bedeutet die Wechselwirkung strukturähnlicher AS, wenn eine durch den Überschuss einer AS bedingte Wachstumsminderung durch Zufuhr der anderen AS gemindert werden kann. Dies betrifft v.a. die verzweigtkettigen AS Valin, Leucin und Isoleucin. Der Begriff der “Aminosäureimbalanz“ wird verwendet, wenn ein geändertes Verhältnis der AS untereinander eine Wachstumsminderung bedingt. Durch Zufuhr der limitierenden essentiellen AS kann die Imbalanz behoben werden. Andererseits ist es möglich, dass durch unkritische, übertriebene Zufuhr bestimmter Aminosäuren (Bodybuilding, Kraftsport) eine AS-Dysbalanz induziert wird, die für den muskulären Hypertrophieprozess kontraproduktiv sein kann.

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Es soll an dieser Stelle betont werden, dass eine ausgewogene Ernährung, die ausreichend hochwertige Proteine enthält, auch im Leistungssport sowie im Bodybuilding eine adäquate Versorgung des Muskelstoffwechsels zur Erzielung einer positiven Stickstoffbilanz im Sinne einer Muskelhypertrophie gewährleistet. Gelegentlich mag eine zusätzliche Proteinzufuhr mit Hilfe von Konzentraten, vorzugsweise aus Milch- oder Molkeeiweiß hergestellt, von Nutzen sein (z.B. vor einem Krafttraining). Die Zufuhr von Aminosäuren bringt keine Vorteile mit sich, wie wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt haben.

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ZUSAMMENFASSUNG DER ZENTRALEN PUNKTE

Die Physiologie des Proteinstoffwechsels gilt für jeden Menschen, somit auch für den Kraftsportler oder Bodybuilder. Der einzige Unterschied zum "Normalverbraucher" liegt im gesteigerten Proteinumsatz und dadurch etwas höheren Proteinbedarf, grundsätzlich jedoch nicht in einem anderen Ernährungsmodus.

Diese Aussage beruht nicht nur auf theoretischer Basis, sondern wird auch durch praktische Eigenerfahrung des Verfassers bestätigt.

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Dr. Kurt Moosburger, Innsbruck, 2001 (veröffentlicht auf fitmedia.de und fitness.com) 

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