:: Kreatin im Sport ::

Nach Carnitin, dessen Einnahme in Form von Kapseln oder Getränken zur angeblichen ”Förderung” der Fettverbrennung (und damit einerseits zur Erleichterung des “Abspeckens“, andererseits zur Steigerung der Ausdauerleistungsfähigkeit) immer noch von einigen Firmen hartnäckig beworben wird, obwohl dieses nicht gerade billige Unterfangen sich als wirkungs- und damit sinnlos herausgestellt hat (Carnitin wird als körpereigene Substanz bedarfsgerecht produziert, einen Mangel gibt es beim Gesunden nicht. Zusätzlich eingenommenes Carnitin wird nicht in seine Wirkstätte, die Muskelzelle, aufgenommen, es verbleibt nach Resorption aus dem Darm im Blut und wird wieder über die Nieren ausgeschieden - messbar ist also lediglich eine erhöhte Carnitinkonzentration im Blut, die aber ohne Bedeutung ist. Auch im hypothetischen Fall einer Carnitinaufnahme in die Muskelzelle bleibt dies für den Fettstoffwechsel bedeutungslos, da Carnitin nicht der geschwindigkeitsbestimmende und damit entscheidende Faktor für die Fettverbrennung ist - entscheidend ist vielmehr, wie viel freie Fettsäuren aus Muskel- und vor allem Fettgewebe mobilisiert werden können und wie viele Mitochondrien in der Muskelzelle mit den entsprechenden Enzymen für deren Verbrennung vorhanden sind, und das ist neben der genetischen Veranlagung in erster Linie eine Frage des gezielten Ausdauertrainings, ist jetzt mit Kreatin ein neuer ”Renner” auf den Markt gekommen.

Im Gegensatz zu Carnitin ist mit der Einnahme von Kreatin eine gewisse, individuelle Leistungssteigerung in bestimmten Sportarten (v.a. Kraftausdauer- und Schnelligkeitsausdauersportarten) möglich.

Was ist Kreatin? Es handelt sich um keine künstliche, sondern um eine körpereigene Substanz, die in Leber und Niere aus drei Aminosäuren gebildet wird (Glycin, Arginin und Methionin, wobei letztere essentiell ist, d. h. mit der Nahrung zugeführt werden muss, weil diese Aminosäure nicht im Stoffwechsel erzeugt werden kann) und in der Muskelzelle, an Phosphat gekoppelt (à Kreatinphosphat), einen wichtigen, jedoch nur sehr kleinen Energiespeicher darstellt (”energiereiches Phosphat”), der zusammen mit ATP die höchstmögliche Energieflussrate (ATP-Gewinnung pro Zeit) und damit körperliche Maximalleistungen für einige Sekunden ermöglicht (anaerob-alaktazide Energiebereitstellung). Kreatinphosphat wird durch Spaltung zwar schnell verbraucht, aber in der Erholungsphase innerhalb kürzester Zeit (mehrere Sekunden bis wenige Minuten) in Zusammenspiel mit ATP wiederhergestellt (sog. Resynthese von Kreatinphosphat). Kreatin wird nicht nur im Körper synthetisiert, sondern vor allem auch mit Fleischnahrung (wie übrigens auch Carnitin) vom Organismus aufgenommen. Im Körper eines 70kg schweren Erwachsenen sind 100-120 Gramm Kreatin gespeichert, ca. 95% davon in der Skelettmuskulatur.

Zur Veranschaulichung: Fünf Gramm Kreatin (eine gängige Einzeldosis bei Kreatineinnahme) entspricht dem Gehalt von ca. 1.1 kg rohem Rindfleisch. Mittels zusätzlicher Kreatineinnahme (sog. Supplementation) erhofft man sich eine Zunahme des Kreatinphosphats in der Muskulatur und damit einen größere Kapazität des Energiespeichers für körperliche Maximalleistungen. Damit sollte es (zumindest theoretisch)  möglich sein, nicht nur die Maximalleistung selbst zu steigern, sondern diese auch länger aufrecht erhalten zu können - eine Überlegung, die vor allem für Sprintsportarten vielversprechend klingt. Die wissenschaftliche Forschung über die orale Kreatin-Supplementation im Sport ist relativ jung. ”Harte”, wissenschaftlich belegte Daten gibt es noch nicht viele, dafür umso mehr empirische Ergebnisse und vor allem subjektive Erfahrungen, in erster Linie aus dem Bodybuilding, woher sich auch die gängigen Einnahmeschemata ableiten.

Positive Ergebnisse wurden bisher veröffentlicht z.B. bei:

-> 10 x 6 Sekunden Fahrradergometrie bei 820 bzw. 880 Watt: Gesamtleistung verbessert.

-> 3 x 30 Sekunden maximaler isokinetischer Krafteinsatz: bei den ersten zwei Serien Leistung verbessert .

-> 5 x 30 maximale Beinstreckung: Gesamtkraft gesteigert.

-> 4 x 300m Lauf: Gesamtzeit unverändert, aber höhere Geschwindigkeit auf den letzten 100 Metern.

-> 4 x 1000m Lauf: Gesamtzeit verbessert

Die zum Teil widersprüchlichen Ergebnisse bei unterschiedlichen Testanordnungen zeigen auf, dass es nicht so einfach ist, klare und eindeutige Aussagen darüber zu treffen, wann und bei wem eine orale Kreatinsupplementierung eine tatsächliche, objektivierbare Leistungssteigerung bewirkt.

Was ist wissenschaftlich belegt? Eine hochdosierte orale Kreatinsupplementation (in den publizierten Studien wurden 4 x täglich 5 Gramm - das entspricht dem Kreatingehalt von 4,5 kg rohem Fleisch! - über fünf Tage verabreicht, Gesamtdosis somit 100 Gramm) kann eine individuell unterschiedliche Zunahme des Kreatingehalts der Muskulatur bewirken. Ca. 20% des in die Muskelzellen aufgenommenen Kreatins sind als Kreatinphosphat messbar, nicht aufgenommenes Kreatin wird über die Nieren im Harn ausgeschieden. Der ATP-Gehalt der Muskulatur bleibt unverändert. Die kurzfristige hochdosierte Kreatineinnahme bewirkt jedoch nicht bei allen Menschen eine signifikante Erhöhung des Kreatingehalts der Muskulatur sowie eine Steigerung der Resyntheserate von Kreatinphosphat in der Erholungsphase nach intensivster Muskelarbeit.

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Welche Erkenntnisse und Schlussfolgerungen für die Praxis ergeben sich aus den bis dato vorliegenden Forschungsergebnissen? Es profitieren offensichtlich nur diejenigen Athleten von einer oralen Kreatinsupplementation, deren Muskulatur noch nicht voll mit Kreatin ”gesättigt” ist. Es gibt nämlich einen Grenzwert für den Kreatingehalt der Muskelzelle, der durch zusätzliche Kreatinzufuhr nicht weiter erhöht werden kann (150 bis 160 mmol/kg Muskeltrockenmasse). Entscheidend ist letztlich nicht die Höhe des Kreatingehalts der Muskulatur, sondern die des Gehalts an Kreatinphosphat. Tatsache ist, dass schon durch entsprechendes Krafttraining über eine Vergrößerung des Muskelfaserquerschnittes, sprich Muskelhypertrophie, die verfügbare Menge an Kreatinphosphat gesteigert werden kann. Vereinfacht ausgedrückt: Wer dickere Muskeln hat, hat auch mehr energiereiches Phosphat zur Verfügung, also einen größeren Energiespeicher für Maximalleistungen. Die bisher veröffentlichten Forschungsergebnisse beziehen sich in erster Linie auf eine kurzfristige, hochdosierte Kreatinzufuhr (s.o.), die in erster Linie als unmittelbare Wettkampfvorbereitung im Sinne einer Superkompensation gedacht ist (vergleichbar mit dem Kohlenhydratladen vor einem Ausdauersportwettkampf zur Vergrößerung des muskulären Glykogenspeichers). Über eine  längerfristige orale Kreatineinnahme liegen noch kaum verwertbare Ergebnisse und damit noch keine Erkentnisse vor. Es stellt sich die Frage, ob und wann eine solche überhaupt sinnvoll und nicht eher kontraproduktiv ist. Für Kreatin gilt nämlich dasselbe wie für die Zufuhr anderer körpereigener Substanzen (z.B. Cholesterin oder Hormone wie Cortisol, Testosteron usw.): Über einen Rückkopplungsmechanismus (negativer feedback) kommt es zur sog. ”Down-Regulation”, sprich Verminderung der körpereigenen Synthese dieser Substanz. Weiters könnte eine langfristige Erhöhung der Kreatinkonzentration im Blut zu einer Down-Regulation des Kreatintransports in die Muskelzelle, also zu einer verminderten muskulären Kreatinaufnahme führen. Neueren wissenschaftlichen Studien nach scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein. Derzeit gibt es noch keine eindeutigen, wissenschaftlich begründeten Richtlinien darüber, wie eine längerfristige Kreatineinnahme, z.B. in der Aufbauphase eines Trainings, in der Wettkampfvorbereitung oder in den Überbrückungsphasen zwischen den Wettkämpfen, erfolgen soll, um die oben beschriebenen Down-Regulationen zu ”überlisten” und damit einen kontraproduktiven bzw. nachteiligen Effekt zu vermeiden. Dies ist zur Zeit Gegenstand weiterer Studien. Nicht nur die Erhaltungsdosis (offensichtlich genügen 2 Gramm täglich, s.u.), sondern auch das ”Timing”, also der Zeitpunkt der Kreatineinnahme, könnte entscheidend sein. Zur Zeit gibt es hauptsächlich “Kochrezepte“, sprich Anleitungen der verschiedenen Herstellerfirmen und vor allem von Bodybuilding-Trainern. Eine Herstellerfirma empfiehlt z.B. eine dreitägige, hochdosierte ”Ladephase” mit ca. 40 Gramm Kreatin täglich, aufgeteilt in sechs Teildosen, und als tägliche Erhaltungsdosis ca. 20 Gramm (drei Teildosen täglich). Man könne aber ohne weiteres bis zu sechs (!) Einzeldosen täglich auf Dauer einnehmen... Dann wird doch wieder eine Einnahmepause empfohlen... Über den längerfristigen Einnahmemodus wird man demnach ungenau informiert. Abgesehen davon sind so hohe Dosen nach heutigem Wissensstand alles andere als notwendig und damit auch nicht sinnvoll. Im Bodybuilding, das aufgrund empirischer Erfahrungen auch auf diesem Gebiet eine Vorreiterrolle spielt, wird zur Zeit nach folgendem Schema vorgegangen: Einer fünftägigen ”Ladephase” mit relativ hohen Kreatindosen (je nach Körpergewicht täglich 25 bis 30 Gramm und gelegentlich auch mehr, verteilt auf 4 Einzeldosen) folgen fünf Tage mit reduzierter Dosis (etwa zwei Drittel der Ladedosis) und dann eine weitere Dosisreduktion auf ca. 10 Gramm (etwa ein Drittel der Ladedosis), eingenommen nur an Trainingstagen, aufgeteilt in zwei Teildosen, wobei die erste ca. 40 Minuten vor dem Training und die zweite unmittelbar danach eingenommen wird. Nach einem Monat wird eine Einnahmepause für ca. vier Wochen eingelegt, bevor der nächste Zyklus begonnen wird. Aus physiologischer Sicht scheint ein solcher Einnahmemodus zur Vermeidung der oben beschriebenen Down-Regulatiosmechanismem durchaus sinnvoll und effektiv zu sein, zumindest sprechen die subjektiven Erfahrungen der Bodybuilder, die sich zum Teil auch objektivieren lassen, dafür: Es kommt beim Training zu einem besseren ”Pump”, zu einer Zunahme der Maximalkraft und Kraftausdauer durch die Möglichkeit einer höheren Trainingsintensität sowie - im Bodybuilding vorrangig - zu einer Körpergewichtszunahme von ca. 3 bis 4 Kilogramm mit einer gewissen Vergrößerung des Muskelquerschnittes. Diese Gewichtszunahme der ”lean body mass” (fettfreie Körpermasse) ist jedoch nur durch eine vermehrte Wassereinlagerung in die Muskulatur bedingt und nicht durch eine positive Stickstoffbilanz mit Proteinneusynthese (Vermehrung der kontraktilen Filamente in der Muskelzelle, den Myofibrillen) im Sinne einer eigentlichen Hypertrophie. Kreatin ist nämlich osmotisch wirksam, nimmt also bei seiner Aufnahme in die Muskelzelle Wasser mit (wie es z.B. auch Natrium und Glucose tun) und bewirkt so - je nach Ausmaß seiner Aufnahme in die Muskelzelle - eine individuelle ”Schwellung” derselben, die nach außen als Hypertrophie imponiert (Ganz abgesehen von den sonstigen, für das Muskelwachstum viel effizienteren ”unterstützenden Mitteln”, wie androgen-anabolen Steroiden und HGH, die ebenfalls ”kurmäßig” zur Anwendung kommen, nicht nur im Bodybuilding, sondern natürlich auch im Leistungssport, wie z.B. im Kraftdreikampf, Gewichtheben, Bobsport, in der Leichtathletik usw...)

Zur Zeit wird diskutiert und erforscht, ob ein besserer Hydratationszustand (höherer Wassergehalt) der Muskelzelle prinzipiell auch für deren Proteinneusynthese förderlich ist und somit eine Hypertrophie begünstigen kann. In diesem Fall wäre Kreatin tatsächlich anabol wirksam, quasi als “indirektes Anabolikum“. Die derzeitige Datenlage spricht jedoch dagegen. Nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen macht es keinen Unterschied, ob Kreatin schnell (s.o.) oder langsam “geladen“ wird. Es zeigte sich, dass der Kreatingehalt der Muskulatur nach der Einnahme von 20 Gramm täglich über 5 Tage identisch war mit dem nach einer 30-tägigen Einnahme von 3 Gramm täglich und in weiterer Folge nicht mehr erhöht werden konnte. Wenn man nicht unter Zeitdruck steht, ist aus medizinischer Sicht der langsame Modus zu empfehlen, um etwaige Magen-Darm-Probleme zu vermeiden. Eine Erhaltungsdosis von nur 2 Gramm täglich genügt, um den erhöhten Kreatingehalt aufrecht zu erhalten (hier werden von den Herstellerfirmen meist zu hohe Dosen empfohlen, eine Mehreinnahme führt jedoch nur zu einem “teuren Urin“). Nach Absetzen der Kreatineinnahme sinkt sein muskulärer Gehalt wieder auf das Ausgangsniveau ab. Aufgrund der osmotischen Wirksamkeit sollte während einer Kreatin-”Kur” etwas mehr als sonst getrunken werden (ca. drei Liter täglich), auch, um Magen-Darm-Beschwerden zu vermeiden. Das Kreatinpulver wird bevorzugt in Fruchtsaft aufgelöst, um den zucker-induzierten Insulin”peak” auszunutzen und dadurch die Kreatinaufnahme in die Muskelzelle zu steigern. Alternativ dazu kann man natürlich Kreatin auch mit bzw. unmittelbar nach einer kohlenhydrathaltigen Mahlzeit einnehmen. Insulin fördert also nicht nur die Aufnahme von Glucose und Aminosäuren in die Muskelzelle, sondern auch die von Kreatin. Die medizinische Diskussion über ein mögliches kanzerogenes Risiko bei langfristiger hochdosierter Kreatinzufuhr ist mittlerweile verstummt (nachdem sich ohnehin eine geringe Erhaltungsdosis von 2 Gramm als ausreichend erwiesen hat), ebenso die Empfehlung, Kreatin nicht in heißen Getränken aufzulösen bzw. einzunehmen (diese pathophysiologische Überlegung konnte ich nie nachvollziehen). Auch dass Kreatin nicht zusammen mit Koffein (z.B. Kaffee) eingenommen werden soll, ist nicht ausreichend begründet. Es gibt zwar eine Studie (Vandenberghe et al.,1996), die gezeigt hat, dass der Effekt einer Kreatinsupplementation durch gleichzeitiges Kaffetrinken vermindert wurde, aber das wurde nie durch weitere Untersuchungen bestätigt. Es liegt auf der Hand, dass eine Kreatinsupplementation vor einem Wettkampf - analog dem ”Kohlenhydratladen” vor einem Marathonlauf - zur Vergrößerung des Kreatinphosphatgehalts der “schnellen“ Muskelfasern als Energiespeicher für kurze Maximalleistungen im Sinne einer Superkompensation für Schnelligkeitsausdauer- und Kraftausdauerdisziplinen zweckmäßig sein kann (aber nicht muss!). Ein wie im Bodybuilding üblicher ”kurmäßiger” Einnahmemodus ist durchaus wirksam und bis dato ohne nachteilige Effekte. Ebenso kann eine längerfristige Einnahme (z.B. während einer Leichtathletik- oder Rudersaison) mit geringer Erhaltungsdosis (s.o.) einen Benefit bringen.

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Warum ist Kreatin gerade für einen Sprinter so interessant? Die Ermüdung eines Sprinters ist bedingt durch die Erschöpfung des Kreatinphosphatspeichers der Muskulatur. Anders ausgedrückt, je größer der Kreatinphosphatvorrat, desto länger kann ein Sprinter seine maximale Leistungsfähigkeit, sprich maximal mögliche Geschwindigkeit aufrechterhalten. Dies ist normalerweise individuell zwischen sechs und fünfzehn Sekunden möglich. Das erklärt, warum ein 200m Sprinter auf den letzten 30 bis 50 Metern in der Regel etwas langsamer wird, wenn die Kreatinphosphatspeicher geleert sind und die weitere Energiebereitstellung (ATP-Gewinnung) durch die anaerobe Glykolyse mit nur mehr halb so großer Energieflussrate bewerkstelligt werden muss, also nicht mehr so viel Energie (ATP) pro Zeit zur schnellen Muskelkontraktion erzeugt werden kann.  Würde es gelingen, die Höchstgeschwindigkeit ein paar Sekunden länger aufrechterhalten zu können - im Idealfall die volle Distanz bis ins Ziel -, ergäbe sich für den 200m Sprint theoretisch ein ”Fabelweltrekord” von ca. 19 Sekunden oder sogar knapp darunter! (Weltrekordzeit über 100m plus fliegende 100m-Zeit von z.B. Carl Lewis in der Staffel). Somit ist alles, was den Kreatinphosphatspeicher der Muskulatur vergrößert sowie seine Wiederherstellung beschleunigt, für einen Sprinter von entscheidender Bedeutung. Neben entsprechender, gezielter Ernährung (ausreichend mageres Fleisch, eine vegetarische Kost ist nicht ergogen, übrigens auch nicht im Ausdauersport) ist es - zumindest theoretisch - auch sinnvoll, sich nach dem Aufwärmen  die wenigen Minuten bis zum Start sehr ruhig zu verhalten, damit die beim Aufwärmen verloren gegangene Menge an Kreatinphosphat wiederhergestellt werden kann (Resynthese, s.o.). Die Kapazität des Kreatinphosphatspeichers zum Zeitpunkt des Startschusses ist (neben seinen genetischen Anlagen, seiner Schnellkraft und dem optimal umgesetzten Training) für einen Sprinter entscheidend - im wahrsten Sinne des Wortes, denn davon hängen die Hundertstelsekunden ab, die über Sieg und Niederlage entscheiden.

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Bei Zusammenschau aller bisher vorliegenden Erkenntnisse und Ergebnisse über  eine Kreatinsupplementation lässt sich folgende Schlussfolgerung ziehen: 

Nicht die reinen Schnellkraftsportler (wie Hoch- und Weitspringer, Kugelstoßer, Schispringer, Gewichtheber usw.) sind die potentiellen Nutznießer einer zusätzlichen Kreatinzufuhr, da für diese Disziplinen die Kapazität des ”normalen” muskulären Kreatinphosphatspeichers für die nur sehr kurzzeitige, explosive Spitzenleistung ausreicht, auch nicht unbedingt  Kurzstreckensprinter (in der Leichtathletik 60m, 100m), sondern eher Athleten von Kraftausdauer- bzw. Schnelligkeitsausdauerdisziplinen (200/400m Sprint, 500m Eisschnelllauf, 1000m Bahnzeitfahren, 100m Kraulsprint usw.), wenn es gelingt, mittels höherer Kapazität an energiereichem Phosphat die Maximalleistung, in diesem Fall die Höchstgeschwindigkeit, über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Mit anderen Worten, es sollte möglich sein, die Kurzzeitausdauer und damit das Stehvermögen mittels einer vor dem Wettkampf durchgeführten hochdosierten Kreatineinnahme verbessern bzw. steigern zu können.

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Trotzdem sei vor allzu großer Euphorie gewarnt. Erstens ist das "Ansprechen" auf Kreatin "Doping" individuell und es profitiert sicherlich nicht jeder Athlet davon, zweitens ist eine zusätzliche Kreatinzufuhr nicht für alle Sportarten sinnvoll und zweckmäßig, so z.B.:

-> in reinen Ausdauerdisziplinen, wo die Energiebereitstellung durch Kreatinphosphat nur in den ersten Sekunden benötigt wird und neben dieser ”Starterfunktion” im weiteren Verlauf (außer bei Zwischenspurts oder beim Endspurt) keine Rolle mehr spielt (aerobe Energiebereitstellung durch Glucose- und Fettsäureverbrennung). Abgesehen davon wäre eine Gewichtszunahme, die durch eine Kreatinsupplementation unausbleiblich ist, im Ausdauersport kontraproduktiv. 

-> im Fußball profitieren möglicherweise Stürmer, sofern sie gute Sprinter sind, evtl. auch die Verteidiger, wenn sie mit den gegnerischen Stürmern mitsprinten müssen, weniger die Mittelfeldspieler (bei denen mehr die aerobe Kapazität gefordert ist)

-> im Schirennsport ist ein verbessertes Stehvermögen v.a. im Slalom und Riesentorlauf denkbar.

Zur Zeit wird eine Kreatinsupplementation von vielen Trainern, aber auch Masseuren und anderen ”Experten” für so gut wie alle Sportarten empfohlen bzw. ”verordnet”. Dieser nicht zuletzt kommerziell gefärbten Propaganda gilt es kritisch gegenüberzustehen. Die primäre Frage ist die nach einem möglichen Nutzen, sprich Hilfestellung zur Leistungsverbesserung. Wie schon besprochen, trifft dies sicherlich nur auf relativ wenige Sportarten zu (s.o.). Niemand soll sich einen Kreatinmangel einreden lassen. Denn körpereigene Substanzen werden vom gesunden Organismus immer bedarfsgerecht produziert und unterliegen negativen Rückkopplungsmechanismen. Auf die potentiell nachteilige Auswirkung bei Dauereinnahme wurde bereits hingewiesen. Noch hat die wissenschaftliche Forschung über die orale Kreatinsupplementation nicht der Weisheit letzten Schluss erreicht und viele Erkenntnisse beruhen nur auf Empirie und subjektiven Erfahrungen. Gerade was die Nahrungsergänzung betrifft, also die Zufuhr diverser Präparate wie Mikronährstoffe (Vitamine und Spurenelemente), Aminosäuren oder vermeintliche ”Wundermittel” wie Kreatin (auf dem Bodybuildingsektor werden - neben den für diese “Sportart“ obligaten Dopingpräparaten - noch viele andere Substanzen, deren Wirkungsweise nicht wissenschaftlich belegt sind und die potentiell gesundheitsgefährdend sein können, wie z.B. Vanadylsulfat, propagiert), darf man den psychologischen Aspekt nicht vergessen, der beim sensiblen Leistungssportler, aber genauso beim ehrgeizigen Hobbysportler eine große Rolle spielt. Jedes Mittel, das eine Leistungssteigerung verspricht, wird in der Regel ohne kritische Rückfragen auf Sinnhaftigkeit angewendet (Das gilt auch für die eigentlichen Dopingpräparate). Dabei ist es durchaus erlaubt und oft auch zweckmäßig, sich den Placeboeffekt (der immerhin wissenschaftlich bewiesen ist, und auf dem die meisten ”Wundermittel” beruhen) zunutze zu machen. Wenn ein Sportler an etwas glaubt, wird es ihm auch helfen (Das trifft auch auf Patienten zu).

Das heißt aber auch, dass er sich nicht zu sehr darauf verlassen soll. Bevor sich ein Sportler oder Trainer enthusiastisch auf neue “Wundermittel“ konzentriert, sollte er eines nicht vergessen: Die entscheidende Voraussetzung für die individuell bestmögliche Leistungsfähigkeit bleibt - neben den genetischen Anlagen, dem sog. ”Talent” - nach wie vor ein der medizinischen Trainingslehre entsprechendes Training, das sportwissenschaftlich und trainingsmethodisch optimal durchgeführt wird.

Bleibt zuletzt noch die sportethische Frage offen, ob eine Kreatinzufuhr in unphysiologisch hoher Dosierung, die eine Leistungssteigerung bewirken kann, nicht eigentlich als Doping betrachtet werden sollte, wie es bei Anwendung anderer körpereigener Substanzen (z.B. Testosteron oder Wachstumshormon) der Fall ist. Darüber kann man diskutieren und ”philosophieren”.

Eines steht fest: Ein ”Wundermittel” ist Kreatin sicherlich nicht. Es kann Training weder ersetzen noch erleichtern - im Gegenteil, damit kann und muss intensiver trainiert werden, um den gewünschten Effekt einer Leistungssteigerung zu erzielen. Die Sinnhaftigkeit seiner Anwendung hängt von der Sportart und Zielsetzung ab, die Wirksamkeit ist individuell. Letztlich muss der Sportler selbst damit Erfahrung sammeln und entscheiden, ob ihm eine Kreatinsupplementation einen entscheidenden Nutzen bringt.

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Dr. Kurt Moosburger, Innsbruck, 1995 (zuletzt überarbeitet im März 2005) 

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